oder: Wie weiter mit der Landwirtschafts- und Verbraucherschutzpolitik in Baden-Württemberg.
Funke und Fischer haben nicht schnell genug auf den Bericht der EU vom Frühjahr 2000 reagiert, der Deutschland (mit guten Gründen) als BSE-Risiko-Land eingestuft hat. Funke hat weiterhin die Parole deutsches Rindfleisch ist sicher ausgegeben und Fischer hat nicht schnell und energisch genug die Notwendigkeit von weiteren Vorsorgemaßnahmen erkannt. Außerdem war der Informationsaustausch zwischen Gesundheits- und Landwirtschaftsministerium unzureichend.
Beide haben die Situation nicht richtig eingeschätzt und nur zögerlich gehandelt. Die rot-grüne Bundesregierung hat auf dieses Versagen schnell und entschlossen – mit strukturellen und personellen Konsequenzen – gehandelt.
Der Verbraucherschutz ist jetzt nicht mehr in der Hand der Agrarlobby und wird der Stabilisierung des Rindfleischmarktes geopfert, sondern wird mit Renate Künast von einer Grünen verwaltet, die entschlossen ist die Prioritäten des Verbraucherschutzes in die Landwirtschaftspolitik einzuziehen.
Und nun zur Reaktion unserer Landesregierung. Ministerin Staiblin fuhr gemeinsam mit der CDU-Bundestagsfraktion in der Sommerpause eine Kampagne gegen die Bundesregierung in der Tonlage: Risikomaterialentfernung ist überflüssig, Deutschland ist BSE frei, Tiermehl ist sicher (Presseerklärung des MLR vom 30. 8. 2000) und setzte sogar noch eins drauf mit der Forderung Deutschland solle Klage beim Europäischen Gerichtshof einreichen (Presseerklärung des MLR vom 7.8. 2000) falls es nicht als BSE-frei eingestuft wird. Hier ein Ausschnitt aus der Presseerklärung des MLR vom 30. 8. in dem Staiblin sich auf die Übereinstim-mung mit ihrem bayrischen Kollegen Miller bezieht: “Die Ministerin und der Minister waren sich einig, dass Deutschland weiterhin als BSE-frei eingestuft werden müsse. Denn bisher wurde in Deutschland noch nie BSE bei einem aus Deutschland stammenden Tier festgestellt. BSE ist bis heute in Deutschland nur bei Rindern aufgetreten, die aus Großbritannien oder der Schweiz importiert wurden. Außerdem erfülle das in allen Tierkörperbeseitigungsanstalten in Deutschland angewandte Verfahren zur Verarbeitung von Tierkörpern die höch-sten Standards und garantiere die Inaktivierung der BSE-Erreger. Vorgaben der EU zur Trennung des spezifizierten Risikomaterials seien für Deutschland ungerechtfertigt und würden zusätzliche Kosten von rund 50 Millionen Mark für Deutschland bedeuten.”
Und die Landesregierung hat nicht nur notwendige Maßnahmen bekämpft, sondern die wahren Zusammenhänge verdunkelt und sogar aktiv Verbrauchertäuschung betrieben. So teilte das baden-württembergische Landwirtschaftsministerium schon in einem Schreiben vom 14. 11. 1995 an das damalige, CDU-geführte Bundeslandwirtschaftsministerium mit: “Aufgrund des Verfütterungsverbotes von Gemengteilen warmblütiger Landsäugetiere (Tiermehle) an Wiederkäuer sind in Baden-Württemberg in einer Sonderaktion Futtermittel für Wiederkäuer auf Tiermehlbestandteile untersucht worden. Dabei wurde festgestellt, dass (…) – Verschleppungen von Tiermehlen – mit weniger als 1% Anteil – bei mind. 70% der Proben sehr häufig sind und sich auch nicht absolut vermeiden lassen(…)”
Im baden-württembergischen Landwirtschaftsministerium war also bekannt, daß selbst im Rinderfutter geringe Tiermehlanteile vorhanden sind. Und es ist bekannt, dass 0,1 Gramm infektiöses Gewebe ausreicht, um ein Rind mit BSE zu infizieren. Das alles war bekannt und trotzdem schreibt Frau Staiblin noch in einer Pressemitteilung vom 3. November 2000: “das Herkunfts- und Qualitätszeichen für Rindfleisch (HQZ) bietet den Verbraucherinnen und Verbrauchern in Baden-Württemberg Orientierung und Sicherheit(…)Wer beim Rindfleischkauf auf Nummer sicher gehen will, solle bei seiner Entscheidung an der Theke nach der Herkunft des angebotenen Rindfleisches fragen.”
Dabei wußte die Ministerin, dass beim baden-württembergischen Herkunfts- und Qualitätszeichen bis zu 100% des Kraftfutters für Rinder weltweit zugekauft werden durfte. Nur das Grundfutter (Grünfutter, Heu, Silage) mußte zu 100% aus Baden-Württemberg kommen. Der gesamte Rest konnte bis zu einem Anteil von 20% am Gesamtfutter (und mehr macht der Kraftfutteranteil in der Regel nicht aus) weltweit zugekauft werden. Frau Ministerin Staiblin wußte um die Tiermehlverschleppungen im Rinderkraftfutter, sie wußte, daß nicht einmal sicherge-stellt war, daß dieses Tiermehl, das natürlich nicht deklariert war aus aller Welt stammen konnte und damit nicht einmal den Sicherheitsanforderungen der deutschen Tiermehlverarbeitung genügte. Sie wußte auch, daß 0,1 Gramm infektiöses Gewebe im Tiermehl ausreichen um ein Rind mit BSE zu infizieren. Sie konnte sich ausrechnen, daß damit jährlich in Baden-Württemberg mehrere tausend Ton-nen nicht kontrolliertes und für die Rinderfütterung nicht zugelassenes Tiermehl an baden-württembergische Rinder verfüttert wurde, ohne daß die Landwirte, die Bauernverbände, das Parlament oder die Verbraucher über diesen Sachverhalt informiert wurde. Und trotzdem reiste diese Ministerin mit dem Segen ihres Ministerpräsidenten und einzigem Schirmherrn Teufel durch die Lande und erzählte den Bauern, den Metzgern und den Konsumenten: Rindfleisch mit dem HQZ, den Herkunfts- und Qualitätszeichen aus Baden-Württemberg ist sicher.
Dies ist fortgesetzte und vorsätzliche Verbrauchertäuschung.
Damit ist nicht nur die Ministerin, sondern auch das HQZ endgültig diskreditiert.
Warum lohnen sich keine Wiederbelebungsversuche (ökologischere Ausrichtung) für das HQZ?
1.) Die Landwirte erhalten für diese Produkte keine höheren Preise haben aber einen erhöhten Mehraufwand.
2.) Kontrollen finden entweder nicht statt oder haben keine Konsequenzen.
3.) Eine spezielle Baden-Württemberg Qualität ist für den Verbraucher nicht Transparent (z.B. dürfen in manchen Bereichen Antibiotika eingesetzt werden in anderen nicht).
4.) In anderen Bundesländern ist eine Herkunftsbezeichnung aus Baden-Württemberg keine Verkaufshilfe.
5.) Bisher werden nur 20% der Produkte aus Baden-Württemberg über das HQZ vermarktet. Werden die ökologischen Kriterien ernsthaft angehoben, wird eine Differenzierung mit echten “Bio-Produkten” immer schwieriger. Andererseits kann das HQZ nicht mit Bio-Argumenten werben, solange es die EU-Bio-Richtlinie nicht erfüllt. Ob der Markt für ein etwas umweltverträglicheres HQZ höhere Preise hergibt ist zu bezweifeln. Der Aufwand für die Bauern steigt aber sicher.
6.) Ein entschlossene Landes- und Bundesweite Kampagne für Ökoanbau kommt mit einer landesspezifisch beworbenen “baden-württemberg” Qualität zwangsläu-fig in Konflikt.
7.) Die EU ist dabei gegen Herkunftszeichen vorzugehen, die sich durch keine transparente oder spezifische Qualität auszeichnen. Nach Ansicht der EU-Wettbewerbshüter handelt es sich hierbei um eine nicht zulässige Subvention.
8.) Bundesweit sollen jetzt einheitliche Kriterien für eine Verbraucher- und umweltgerechte landwirtschaftliche Produktion mit strengen Kontrollen entwickelt werden.
Schlußfolgerung: Wir unterstützen in Baden-Württemberg eine dreigleisige Strategie:
1.) Steigerung des ökologischen Anbaus durch Vermarktungsförderung und Förderung ökologisch wirtschaftender Betriebe (keine Umstellungsförderung die nur Strohfeuer produziert)
2.) Stärkere Anreize zur umweltverträglichen Produktion über das Marktentlastungs- und Kulturlandschaftsausgleichsprogramm (Meka) für die konventionelle Landwirtschaft. Streichung von unsinnigen Förderungstatbeständen (Drillreihen-abstand) die nur Mitnahmeeffekte bewirken verbunden mit einem Umbau der na-tionalen und europäischen Förderprogramme.
3.) Förderung von regionalen Vermarktungsinitiativen, die mit einem eigenständi-gen Konzept und eigenen Qualitätsansprüchen für eine bestimmte Region antreten. (Schwäbisch-Hallisches Schwein, Reichenauer Gemüse etc.)
Nachbemerkung zur Organisation der Landwirtschaftsministerien in Bund und Land. Die CDU argumentiert neuerdings, die Zusammenfassung von Landwirtschaft, Ernährung und Verbraucherschutz, wie jetzt auf Bundesebene sei in Baden-Württemberg bereits erfolgt. Dies ist auf den ersten Blick richtig. Nur in Baden-Württemberg wurde der Verbraucherschutz in das Landwirtschaftsministerium eingegliedert und ist dort den Marktaspekten untergeordnet. Diese kommt auch zum Ausdruck, daß eine Bäuerin und EX-Landfrauenverbandsfunktionärin dieses Amt leitet. Im Bund gibt es jetzt ein Verbraucherschutzministerium, dem die Landwirtschaft untergeordnet ist und von einer engagierten Verbraucherschützerin geleitet wird, die bisher nie als Funktionärin oder Lobbyistin der Landwirtschaft auftrat. Ein bedeutender Unterschied.
Pressemitteilung der Landtagsfraktion der Grünen vom 16.01.2001