Veranstaltung mit MdB Helmut Wilhelm, Grüne, und Rechtsanwalt Klaus Flock vom Mieterverein
Die von der Regierung seit einigen Jahren betriebene Privatisierung von Bahn und Post, die Umwandlung von öffentlichen in private Dienstleistungsgesellschaften hat nicht erst seit der Bundesbahn-Pannenserie ihre unerfreuliche Kehrseite. Rationalisierungseffekte gehen oft einseitig zu Lasten von Mitarbeitern, während manche Politiker sich durch Postengeschachere in den oberen Rängen der neugegründeten Privatgesellschaften einen bequemen, gut dotierten Sessel sichern. Seit fast zwei Jahren bewegt in Plankstadt das Schicksal der “Siedlungs”-Bahnwohungen die Gemüter von betroffenen Mietern und den lokalen Politikern. Im Vorfeld der Entscheidung des Hauptpersonalrats der Bahn AG über die nachgebesserten Verkaufsbedingungen von bundesweit über 114.000 Bahnwohnungen hatte die Grüne Liste Plankstadt zu einer Veranstaltung mit zwei Referenten in den Gasthof “Adler” eingeladen.
Gemeinderat Ulf-Udo Hohl begrüßte die Gäste und die beiden Redner, den Bundestagsabgeordneten von Bündnis 90/Die Grünen Helmut Wilhelm und den Heidelberger Mieter-Anwalt Klaus Flock im Namen von GLP und Gemeinderatsfraktion. Er betonte das bisherige sozialpolitische Engagement der GLP seit Gründung durch verschiedene Initiativen, Veranstaltungen und passend zum Thema des Abends mit einem Haushaltsantrag zur Rolle der Gemeinde als Wohungsanbieter bzw. Erwerber eines Teils der Eisenbahnerwohungen, Schon der Charakter der Eisenbahnersiedlung sei einzigartig, ein seltenes Sozial- und Industriedenkmal aus der Frühzeit der revolutionären Weimarer Republik. Eine steingewordene Erinnerung auch an die damalige soziale Aufbruchstimmung von 1920/21 beim ersten Bauabschnitt.
Der Hauptreferent des Abends, MdB Helmut Wilhelm, beschrieb anschließend kurz die bisherigen Privatisierungsmodelle. 4,6 Mrd. Netto-Verkaufserlös (7,2 Mrd. mit Schuldenübernahme) seien geplant. Im Zusammenhang mit der Gründung der Reichsbahn 1924 (vorher gab es nur Länderbahnen) ist das Konzept der jetzigen kleinteiligen Wohnungen mit ihren überschaubaren Sozialstrukturen samt Gartengrundstücken entstanden. Sie gehören heute zur privaten Gesellschaft Bundeseisenbahnvermögen, ebenso wie sämtliche Bahnbeamten. Nach den gescheiterten Verhandlungen rnit der japanischen Nomura-Bank war ein Konsortium von 10 Landesentwicklungsgesellschaften (LEG’s) und zwei privaten Wohungsbauunternehmen am Zuge. Der Hauptpersonalrat der Bahn lehnte als Mitbestimmungsorgan den Verkauf zu den damaligen Bedingungen ab, der Deal konnte nicht vollzogen werden. Nach dem letztjährigen Wechsel der Regierung und der sozial-ökologischen Koalitionsvereinbarung sollen nun sozialverträglichere Bedingungen vereinbart werden, z.B. ein Wohnrecht für alle Mieter (nicht nur Bahnmitarbeiter wie bisher) auf Lebenszeit. Dennoch bedauerte Helmut Wilhelm, daß ein mit Überschuß arbeitendes Unternehmen zum kurzfristigen Stopfen von Haushaltslöchern veräußert werden soll, wobei der zügige Verkauf mit 57.000,- DM Verkaufspreis pro Wohnung im Haus des SPD- Ministers Müntefering vor einer Optimierung des Erlöses steht. Das grenze schon an Verschleuderung des “Tafelsilbers”. Die Entscheidung des Personalrats zur nachgebesserten Verkaufsversion steht noch aus und wird für Herbst d.J. erwartet.
An das Referat der Grünen-MdB Helmut Wilhelm schloß sich nahtlos der Kurzvortrag von Rechtsanwalt Klaus Flock vom Mieterverein Heidelberg an. Er berichtete, welche Probleme bei Mietern mit dem Wechsel des Eigentümers und damit Mietvertragspartners auftreten können. Nach § 571 BGB gehen zunächst alle Mietverträge bei Verkauf auf den Erwerber über (“Kauf bricht nicht Miete”). Dennoch kam es beispielsweise beim Verkauf der Postwohnungen in Mannheim an Privatfirmen und an die bisherigen Mieter zu einigen Reibereien unter den verbliebenen Mietern und neuen Eigentümern von in Eigentumswohnungen umgewandelten Mietwohnungen. Die vorher gemeinsam genutzten Gärten wurden aufgeteilt und der Wohnungsgemeinschaft entzogen. Eigennutz ersetzte frühere Solidarität.
Zu den praktischen Fragen einer bevorstehenden Änderung der Eigentumsverhältnisse meldeten sich irn Diskussionsteil der Veranstaltung mehrere Siedlungseinwohner zu Wort, u.a. Herr Berlinghof aus der Hebelstraße, seit 70 Jahren in einer Bahnwohnung wohnend. Er wies sehr engagiert darauf hin, daß heutige Besitzstände auch als Ausgleich für frühere Einkommensnachteile der “Bähnler” anzusehen sind. Durchgehend war die Befürchtung, doch noch die Wohnung verlassen oder erhebliche Mietsteigerungen hinnehmen zu müssen. Der bauliche Zustand der Wohnungen sei teilweise vernachlässigt, die Mieter rnüßten viel selber machen. Durch den fehlenden persönlichen Kontakt zum Wohnungsbetreuer sehen viele Mieter ihre Aufwendungen für die Wohnungen wenig gewürdigt. Immerhin erwirtschafte das Bundeseisenbahnvermögen aus dem gesamten Wohnungsbestand ca. 280 Mio. DM pro Jahr. Auf eine entsprechende Frage antwortete der Abgeordnete Wilhelm, daß bei einer erneuten Ablehnung der Verkaufsbedingungen auch sozialere Vorstellungen wie der Direktverkauf von Wohnungen an Mieter oder an interessierte Städte und Gemeinden eine Chance bekommen könnten. Unter Einrechnung der staatlichen Wohnungsbauförderung wäre vor allem für junge Familien ein Eigentumserwerb möglich. Anstatt einer Fortsetzung der Kohl’schen Privatisierungspolitik könnten mit etwas mehr Aufwand soziale, ökologische und auch städtebauliche Ziele zusammen mit gestaltungswilligen Kommunen erreicht werden. Bei der Frage, wieviele Mieter denn an einem Kauf interssiert seien, war die Einschätzung so, daß je nach Preislage die Hälfte bis 3/4 der Bewerber Interesse am Eigentumserwerb hätten.
Bei dem sehr lebhaften Gespräch wurden auch die Ängste älterer Bewohner vor einem Wohnungswechsel angesprochen und die Grundstückspolitik hinsichtlich von Gemeindewohnungen in Plankstadt. Bemerkenswert war in diesem Zusammenhang die Tatsache, daß nach Kenntnis des Bundestagsabgeordneten, Mitglied im Ausschuß für Verkehr, Bau und Wohnungswesen, bisher von den betroffenen Kommunen nur Köln und Plankstadt Aktivitäten in Richtung Bonn entwickelt haben.
Winfried Wolf